Das revidierte Erbrecht

Peter Keller, 62, Unternehmer, hat vor zwei Jahren einen Erbvertrag mit seinen Nachkommen geschlossen. Da am 1. Januar 2023 das revidierte Erbrecht mit relevanten Neuerungen in Kraft tritt, entspricht der Vertrag möglicherweise nicht mehr den gesetzlichen Regelungen. Insbesondere wird den Erblassern wie Herrn Keller ein grösserer Verfügungsspielraum geboten, weil sich u. a. die Pflichtteile reduzieren und der Pflichtteilsschutz im hängigen Scheidungsverfahren wegfällt. Folgender Beitrag diskutiert die neuen Bestimmungen und deren Auswirkungen auf bestehende erbrechtliche Verfügungen bzw. Verträge.

Reduzierte Pflichtteile

Die Bestimmungen zu den gesetzlichen Erben nach Art. 457 ff. ZGB regeln, wer wie viel erbt, wenn keine letztwillige Verfügung des Erblassers bzw. kein Erbvertrag vorliegt. Der Pflichtteil nach Art. 471 ZGB definiert den gesetzlich festgelegten Mindestanspruch am Nachlass. Genau dieser Pflichtteilsschutz steht ab 2023 nur noch den Nachkommen und der/ dem überlebenden Ehegattin/ Ehegatten bzw. der/ dem eingetragenen Partnerin/ Partner zu, womit die geschützte Wertquote für die Eltern wegfällt. Da die geschützte Quote für überlebende Ehegatten und Nachkommen die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs beträgt, beläuft sich der Mindestanspruch auf je ein Viertel der Erbschaft (angenommen Nachkommen und überlebende Ehegatten erben gemeinsam) und die frei verfügbare Quote beträgt 50%.

Im Beispiel mit Peter Keller bedeutet dies, dass er im alten Erbvertrag von 2020 einen frei verfügbaren Teil von 37.5% hatte, mit dem neuen Erbrecht vergrössert sich jedoch dieser frei verfügbare Teil und liegt neu bei 50% der Erbschaft. Dieser Umstand ist auf die Reduktion der Pflichtteile zurückzuführen, Nachkommen haben im folgenden Beispiel nur noch einen Anspruch auf 25% statt 37.5% des Nachlasses.

Wegfall Pflichtteilsschutz im Scheidungsverfahren

Der neue Art. 472 ZGB regelt, dass der überlebende Ehegatte seinen Pflichtteilsanspruch verliert, wenn beim Tod des Erblassers ein Scheidungsverfahren hängig ist und das Verfahren auf gemeinsames Begehren eingeleitet bzw. fortgesetzt wurde oder die Ehegatten mindestens zwei Jahre getrennt gelebt haben. Diese Vorschriften gelten für eingetragene Partnerschaften sinngemäss.

Angenommen Peter Keller stirbt und hinterlässt weder einen (öffentlich beurkundeten) Erbvertrag noch eine letztwillige Verfügung, jedoch ein im Zeitpunkt seines Todes hängiges Scheidungsverfahren: Die (noch) Ehefrau bzw. Witwe verliert ihren Pflichtteilsanspruch und damit auch ihre Erbenstellung. Gleiches würde gelten, wenn Herr Keller und seine Ehefrau in den letzten zwei Jahren vor seinem Tod getrennt gelebt hätten.

Wie weiter?

Handlungsbedarf besteht für Herrn Keller vor allem in der Überprüfung des geschlossenen Erbvertrages, damit dieser auf die zukünftigen Regelungen abgestimmt wird. Da Erblasser nun flexibler und freier in der Gestaltung des Nachlasses sind, ist es gut möglich, dass man Anpassungen vornehmen will und bspw. die grössere frei verfügbare Quote anders zuteilen möchte. Ausserdem sollte sich Peter Keller die Frage stellen, ob er gemäss den alten Regeln den Pflichtteil der Nachkommen auf drei Viertel des gesetzlichen Erbanspruchs belassen möchte oder auch, ob er die Eltern auf den Pflichtteil setzt.

Die neuen Bestimmungen gelten für alle Todesfälle ab dem 1. Januar 2023, wobei bisherige letztwillige Verfügungen und Erbverträge gültig bleiben. Will man sie ändern, gilt es zu beachten, dass der Erblasser weiterhin urteilsfähig sein muss und die Änderung von Erbverträgen einen übereinstimmenden Willen aller Vertragsparteien voraussetzt.

Zusammenfassend:

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By Published On: 22. August 2022Categories: LEGAL & NOTARY